Die Trauer bewältigen und anderen helfen

In der ersten Pandemiewelle verlor Lina Zosso ihre Mutter. Als die zweite Welle anrollt, zögert sie keine Sekunde: Sie meldet sich als Pflegehelferin, um den Patientinnen und Patienten der Inneren Medizin zur Seite zu stehen.

April 2020: Die erste Welle der Covid-19-Pandemie bricht über die Schweiz herein und der erste Teil-Lockdown bestimmt unseren Alltag. Lina Zosso wird diesen April für immer in Erinnerung behalten: Ihre 82-jährige Mutter verstirbt im Spital. «Ich konnte mich nicht von ihr verabschieden. Aber die Ärztin hat ihr meine  Abschiedsworte ausgerichtet, da hat sie kurz die Augen geöffnet. Dieser Gedanke hat mir bei der Trauer geholfen.»

Mit einer unglaublichen Stärke und, wie sie sagt, behütet von ihrem Schutzengel hat die Freiburgerin diese schwierige Erfahrung auf überraschende und  bewundernswerte Weise verarbeitet. «Im Herbst habe ich gesehen, dass das Spital Personal zur Unterstützung der Ärzte und Pflegenden sucht.» Die ausgebildete Pflegehelferin zögert keine Sekunde und bewirbt sich. «Ich habe die Kopie meines Diploms persönlich vorbeigebracht. Eine halbe Stunde später erhielt ich einen Anruf: Man fragte mich, ob ich gleich die nächste Nachtschicht übernehmen könnte! Schliesslich habe ich einige Tage später, am 2. November, angefangen», erinnert sich Lina Zosso.

Trotz Maske und Handschuhen
Nachdem sie elf Jahre in einem Pflegeheim und fünf Jahre in der Krippe des Spitals gearbeitet hatte, kümmert sich Lina Zosso nun um die an Covid-19 erkrankten Patienten der Inneren Medizin. «Ich hatte das Gefühl, nützlich zu sein – sowohl für das Personal, das schon so viel geleistet hat, als auch für die Patienten.»

Mit einem Lächeln in den Augen, beruhigenden Gesten und tröstenden Worten verschönert sie den Kranken den Alltag. «Sie brauchten einfach jemanden, der bei ihnen ist, besonders als die Besuche eingeschränkt oder nicht erlaubt waren.» Trotz Maske und Handschuhen hält die Freiburgerin Hände, massiert Füsse, beschreibt die Voralpen, die von den Zimmern aus sichtbar sind, oder flüstert ein bestärkendes «Es wird alles gut» ins Ohr.

Neue Hoffnung
Diese Zeit im Dienste von anderen half Lina Zosso, ihre Trauer zu bewältigen. Auch ihre Familie war eine wichtige Stütze. Und wenn die Gefühle hochkommen, macht sie einen Spaziergang. «Ich habe viel gelernt, das ist meine Stärke. Man muss nach vorne schauen. Ich bin 57 Jahre alt und bei bester Gesundheit, ich will Menschen helfen.»

Dieser Wunsch geht in Erfüllung: Zu ihrer grossen Freude wird Lina Zosso Anfang dieses Jahres zu 50 Prozent angestellt. Ihre sanfte Stimme und ihre Präsenz werden die Patienten also weiterhin begleiten. Hoffnung für die Zukunft: Wenn dieser Artikel erscheint, wird Lina Zosso stolze Grossmutter geworden sein…

H24/Herbst 2021